Ich habe keine Angst vor Monstern unterm Bett.
Ich habe Angst vor Zecken. Und vor Flugzeugen. Und vor Autobahnen.
Ich habe Angst, dass meinen Hunden etwas passiert. Oder meinem Mann. Oder mir.
Ich habe Angst, etwas zu übersehen. Oder zu spät zu handeln. Oder zu früh in
Panik zu geraten.
Ich bin Ich. Ich habe ADHS. Und ich habe Ängste.
Manchmal flüstern sie nur. Und manchmal schreien sie mir direkt ins Ohr.
Heute zum Beispiel.
Ich sitze auf dem Sofa, kraule einen meiner Hunde, und spüre plötzlich etwas an
meinem Bein.
Ein Blick.
Eine Zecke.
Panik.
Der Film startet sofort: Borreliose, Spätfolgen, Klinik, Rollstuhl. Mein Mann
entfernt sie ruhig und sagt: „Wahrscheinlich war sie noch gar nicht richtig
drin.“
Ich nicke. Und rufe direkt den Arzt an. Man weiss ja nie.
Solche Situationen sind keine Seltenheit in meinem Alltag.
Ich habe Flugangst – nicht, weil ich Turbulenzen nicht aushalte, sondern weil
mein Kopf innerhalb von Sekunden das komplette Absturzszenario durchspielt. Ich
fahre ungern auf der Autobahn – nicht, weil ich kein Vertrauen zu meinem Mann habe,
der fährt, sondern weil mir bei jeder Einfahrt Bilder von Unfällen durch den
Kopf schiessen. Und wenn einer meiner Hunde nur ein kleines bisschen anders
schaut als sonst, meldet sich mein innerer Alarm: „Irgendwas stimmt nicht!“
Was viele nicht wissen:
ADHS bringt nicht nur Chaos, Vergesslichkeit oder Impulsivität mit sich –
sondern oft auch Ängste.
Viele von uns haben ein extrem feines Gespür für mögliche Gefahren. Wir sind
reizoffen, schnell im Denken und ziemlich gut darin, Worst-Case-Szenarien zu
entwerfen. (Hollywood würde uns wahrscheinlich engagieren, wenn wir sie
aufschreiben würden.)
Das Ganze ist nicht einfach „Drama“ – es ist oft ein Schutzmechanismus. Nur
leider einer, der uns manchmal mehr stresst als schützt.
Wie ich damit umgehe?
Manchmal gut. Manchmal gar nicht.
Manchmal hilft es, darüber zu reden – wie heute, mit meinem Mann.
Manchmal hilft es, Fakten zu checken: Wie lange muss eine Zecke eigentlich dran
sein, damit etwas passiert?
Manchmal hilft Atmen. Bodenkontakt. Tee.
Manchmal hilft es, mich selbst daran zu erinnern, dass mein Kopf gerade einfach
wieder im Katastrophenmodus unterwegs ist – und ich trotzdem nicht alles
glauben muss, was er mir erzählt.
Ich habe gelernt, meine Ängste nicht mehr zu verstecken. Sie
gehören zu mir. Sie meinen es gut. Sie wollen mich beschützen.
Aber sie übertreiben.
Und manchmal – da darf ich ihnen freundlich, aber bestimmt sagen: „Danke, dass
du da bist. Ich übernehme jetzt wieder.“
Zum Schluss:
Ich stelle mir meine Angst oft wie eine schrille Beifahrerin vor.
Sie trägt einen grellorangen Sicherheitshelm, hat die Hände permanent am
Notbremshebel und ruft bei jedem Strassenschild: „Pass auf! Gefahr!“
Und ja – manchmal hat sie recht.
Aber meistens… fahren wir einfach nur durch den Alltag. Und den will ich nicht
ständig mit Sirene im Ohr erleben.
Deshalb übe ich. Jeden Tag ein bisschen.
Nicht angstfrei zu sein – sondern angstfreundlich.
Und mir zu erlauben, trotzdem zu leben.


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